DIE GESCHICHTE DER STEINSUPPE

Es war einmal vor langer Zeit, irgendwo in Europa, da herrschte eine grosse Hungersnot. Die Menschen versteckten ihre letzten Lebensmittel sogar vor ihren Freunden und Nachbarn. Eines Tages kam ein Wanderer in ein Dorf. Die Leute glaubten, dass er im Dorf bleiben wolle. "Es gibt in der ganzen Gegend keinen Bissen zu essen", sagte man ihm. "Es wäre besser, du würdest weiterziehen".

"Oh, ich habe alles, was ich brauche", sagte der fremde Mann. "Eigentlich hatte ich mir gedacht, ich mache eine Steinsuppe und lade euch alle dazu ein". Er nahm seinen Kochtopf vom Rucksack, füllte diesen am Brunnen mit Wasser und machte ein Feuer darunter. Dann nahm er feierlich einen schlichten Stein aus seiner Samttasche und nachdem er daran gerochen hatte, legte er diesen ins Wasser.

Mittlerweile waren die meisten Dorfbewohner auf dem Platz erschienen oder schauten aus ihren Fenstern. Als der Wanderer an der Suppe schnüffelte und sich mit den Fingern über seine Lippen fuhr, begann der Hunger das Misstrauen der Leute zu besiegen.

Der Fremde nahm jetzt seinen Löffel aus dem Rucksack und probierte die Suppe. Dann sagte er: "Nicht schlecht, sie schmeckt schon köstlich! Sie würde noch köstlicher schmecken, wenn ich ein paar Kartoffeln zugeben könnte". Sofort brachte eine Frau ihm ein paar verrunzelte Kartoffeln, die er im Brunnen wusch und in die Suppe gab.

Wieder kostete er nach einer Weile. "Grossartig! Sie schmeckt schon grossartig", rief er und schnalzte mit der Zunge. "Sie würde aber noch grossartiger schmecken, wenn noch ein paar Karotten drin wären." Jetzt brachte ein Junge einige Karotten und der Wanderer gab sie in den Topf, liess alles eine Weile kochen, dann probierte er die Suppe wieder.

"Göttlich", stellte er fest. "Sie würde aber noch göttlicher schmecken, wenn ich sie mit einem Stück Rindfleisch abrunden könnte". Da brachte ihm der Metzger ein Stück Fleisch und auch das wanderte in die Suppe.

So ging es dann weiter mit Lauch, Zwiebeln, Kohl, Sellerie und Kräutern. Zuletzt brachte ihm ein Mädchen noch eine Tasse mit Salz. Als der Unbekannte erneut die Suppe probierte, rief er laut: "jetzt schmeckt sie königlich und wir können sie essen." Alle freuten sich, dass der Mann eine so königliche Suppe für sie alle gekocht hatte.

Von dieser Zeit an, noch lange nachdem die Hungersnot vorbei war, dachten die Leute an die "vorzüglichste Suppe", die sie jemals gegessen hatten.